Er begann seine Fernsehkarriere als Kabelträger bei Biolek, Carrell, von der Lippe und der Sportschau. Jürgen Domian (62), in Gummersbach geboren, ist die moralische Instanz im deutschen Fernsehen und Radio. Der studierte Philosoph, Germanist und Politikwissenschaftler (Markenzeichen buntes Hemd) führte erstmals am 3. April 1995 durch seine Telefon-Talk-Sendung „Domian“. Bis heute hat der Kult-Seelsorger mehr als 23.000 Interviews geführt. Im Gespräch mit TS-Mitarbeiter Huck spricht Domian über Nachtarbeit, nicht existierende Mitgefühlsmüdigkeit, eigene persönliche Krisen und weitere Geheimnisse seines großen Erfolges.
Herr Domian, ich bin von der Konkurrenz. Was halten Sie von der Telefonseelsorge?Ich habe großen Respekt vor der Arbeit der Telefonseelsorgen. Sie leisten so viel für unsere Gesellschaft. Das kann man gar nicht oft genug zum Ausdruck bringen.
Gab es Momente in Ihrem Leben, in denen Sie Hilfe von der Telefonseelsorge in Anspruch hätten nehmen können (wollen)?
Ich gehöre zu den Glücklichen, die Zeit ihres Lebens immer mindestens einen sehr guten Freund hatten. Ich weiß aus meinen Sendungen, dass das nicht selbstverständlich ist. Dafür bin ich sehr dankbar.
Wer ist für Sie erster Ansprechpartner, wenn es Ihnen nicht gut geht?
Meine besten Freunde. Im Moment gibt es sogar drei ganz enge Menschen um mich herum.
Sie sind Nachtarbeiter. Ist die Dunkelheit ein Vorteil dafür, dass die Seelen sich öffnen?
Ich war 22 Jahre Nachtarbeiter. Ja, die Nacht öffnet die Seelen. Die Menschen sind in der Stille und der Dunkelheit mehr auf sich zurückgeworfen als an sonnigen Tagen. Das Verdrängen und Übertünchen funktioniert in der Nacht wesentlich schlechter als am Tage.
Seit dem 3. April 1995 sind Sie bis auf einige kurze Phasen fast ständig auf Sendung. Leiden Sie mittlerweile nicht an Mitgefühlsmüdigkeit?
Seit 2017 bin ich ja nicht mehr täglich auf Sendung. Nein, das Wort Mitgefühlsmüdigkeit kenne ich gar nicht. Würde ich derartige Empfindungen verspüren, müsste ich sofort mit meiner Arbeit aufhören. Im Gegenteil, je älter ich werde, desto mehr gehen mir manche Geschichten an Herz.
Geduldiges Zuhören ist Grundvoraussetzung für Ihren und meinen Job. Welche Fähigkeiten müssen Sie noch aufbringen?
Ja, Zuhören und auch Ernstnehmen sind die wichtigsten Voraussetzungen für den Job. Zudem beziehe ich, wenn nötig, auch Stellung. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Leute das wünschen. Sie wollen eine Meinung hören. Selbst wenn sie sich manchmal daran reiben.
Wann ist für Sie ein Gespräch gut verlaufen, so dass Sie zufrieden sein können?
Wenn ich das Gefühl habe, alle wesentlichen Fragen gestellt und erörtert zu haben. Und wenn ich die Rückmeldung bekomme, dass das Gespräch dem Anrufer ein wenig geholfen hat.
Ist die beschränkte Gesprächszeit von rund zehn Minuten nicht zu kurz, um Mut zu spenden?
Ja, zehn Minuten sind manchmal zu kurz. Allerdings habe ich die Freiheit, auch länger zu sprechen. Mit einer Anruferin, deren Kind entführt, sexuell missbraucht und ermordet worden war, habe ich über dreißig Minuten gesprochen.
Hat sich Ihr Menschenbild im Laufe der Jahre verändert? Sind Sie ein andererˋ geworden?
Ich bin kein anderer geworden, aber ich sehe die Menschen kritischer und skeptischer. Ich habe in so viele Abgründe geblickt, da bleibt das nicht aus.
Ist Ihre Sendung eher Voyeurismus als ein Hilfsangebot? Diese These vertreten einige Kritiker.
Der Voyeurismus-Vorwurf ist schnell gemacht. Im Grunde aber ist alles, was in den Medien veranstaltet wird, Voyeurismus-Befriedigung. Es ist immer die Frage, wie verantwortungsbewusst man an die Sache herangeht. Ich habe während meiner Arbeit zwei eiserne Gebote im Kopf: Du musst dem Anrufer gerecht! Und du musst dem Publikum gerecht werden! Ich gebe zu, das ist oft ein Seiltanz. Das großartige an einer solchen Sendung ist, dass ich durch das öffentliche Gespräch mit einem Anrufer eben auch sehr viele andere Leute erreichen kann, die vielleicht in gleichem Maße betroffen sind.
Welche Bedeutung haben eigene persönliche Krisen für Ihren Umgang mit Anrufern/Anruferinnen?
Ich glaube, es ist sehr förderlich, selbst auch schon so einiges durchgemacht zu haben. Das merken die Leute. Man wird dadurch glaubwürdiger.
Sind Sie sich nach der intensiven Nachtarbeit nicht häufig verdreht vorgekommen?
Ich hatte einen verdrehten Lebensrhythmus, da ich immer erst gegen 5 Uhr in der Frühe ins Bett gegangen bin. Das war für mein soziales Leben eine ziemliche Belastung. Dafür aber konnte ich einen Job machen, dem ich mit großer Leidenschaft verbunden war und bin.
Ehrenamtlich sind Sie in einer Kölner Palliativstation tätig. Gibt es eigentlich auch triviale Dinge, die einem Domian Spaß bereiten?
Eine ganze Menge. Ich bin mit einigen Comedians privat befreundet. Das ist eine wunderbare Gegenwelt.
Könnten Sie sich vorstellen, einmal eine Schicht in der Telefonseelsorge – am Tage – zu übernehmen?
Klar, warum nicht?